11. Amber
Heute war diese wahnsinnig angesagte Party von Ellen. Vielleicht erinnerst du dich noch an dieses dumme Spiel, in dem man mit jemandem im Schrank eingeschlossen wird. Ich habe nur mitgespielt, weil du nicht wolltest, dass ich nur daneben stehe. Wie hätte ich ahnen können, dass diese blöde Flasche auf Dylan zeigt? Und woher hätte ich wissen sollen, dass er versucht; mich anzufassen, obwohl ich das nicht will? Die anderen haben gelacht, als sie mein Kreischen gehört haben, aber du bist sofort aufgesprungen, hast die Schranktür aufgerissen und gesehen, dass ich Tränen in den Augen habe.
Ich weiß noch genau, wie deine Augen dunkel wurden und du Dylan am Kragen gepackt hast. Wie die Holzregale hinter ihm verdächtig knarrten, als du seinen Körper dagegen gedrückt hast. Ich höre noch immer deine zischende Drohung und fühle die Erleichterung, als du meine Hand nahmst.
Du bist mit mir zusammen gegangen, hast die Sprüche und Blick der anderen ignoriert. Wir sind schweigend in den Wagen gestiegen und zu dem kleinen Diner am Ende der Stadt gefahren. Ich weiß noch, wie du deine Jacke um meine Schultern gelegt hast, als wir die Schokoladenshakes bestellt haben. Wir haben lange stumm an dem Tisch gesessen und nichts gesagt, bis du irgendwann aufgestanden und zu der alten Jukebox gegangen bist. Du hast ein Lied ausgewählt und mich dann gefragt, ob ich tanzen möchte.
Das war sie.
Die perfekte Nacht.
Du und ich bis in den Morgengrauen tanzend und Milchshakes trinkend.
»Sorry«, bringt der unfassbar süße Kerl mit den dunklen, kurzen Haaren hervor und lächelt mich entschuldigend an. Auf seinem schmalen Gesicht ist der Ansatz eines Bartes zu erkennen und seine blauen Augen, erinnern mich an den Himmel am Morgen.
»Schon gut. Ich hab nicht aufgepasst«, versuche ich, so gelassen wie möglich zu erwidern, und ignoriere dabei, dass mein Herz sich gerade auf einer Hüpfburg befindet.
»Ich hab dein Shirt versaut«, stellt er fest und betrachtet einen Wimpernschlag lang mein nasses Oberteil.
Ist mir egal, weil du supersüß bist!
»Nicht so schlimm. Ist keine Seide oder sowas.« Ich spüre Hitze, die in meine Wangen schießt und beiße mir auf die Zunge. Wie geht das nochmal mit dem locker bleiben und reden? Meine Zunge fühlt sich nämlich leider so an, als wäre sie mit Sekundenkleber an meinen Gaumen geklebt worden.
»Ich werde das…«
»Gibt es einen bestimmten Grund, aus dem du meiner besten Freundin, was über das Shirt kippst, Brewster?«, wird der hübsche Kerl von einer viel zu vertrauten Stimme unterbrochen. Noch ehe ich etwas sagen kann, legt sich ein schwerer Arm um meine Schulter und ich werde an eine durchtrainierte Brust gezogen, sodass ich fast stolpere. Verwirrt blinzle ich und schaue zu Dean, der mich nicht weiter beachtet. Dafür fixiert er den süßen Kerl.
Beste Freundin?
»Das war meine Schuld. Ich bin in ihn reingelaufen«, gebe ich bissig zurück und versuche den schweren Arm abzuschütteln, der sich jedoch keinen Zentimeter bewegt.
»Ich hätte auch aufpassen müssen«, sagt der Fremde, der mir ein schiefes Lächeln zuwirft und mich dazu bringt, den Kampf mit Dean zu unterbrechen.
»War von uns beiden doof.« Ich erwidere das kleine Lächeln und versuche, mit den Schultern zu zucken, doch meine Geste wird von Deans verspannten Muskeln unterbunden.
»Nein, ich denke, Brewster sollte aufpassen, wohin er das nächste Mal geht.« Den kühlen Unterton bin ich gewohnt, aber den Kerl vor mir scheint es einzuschüchtern. »Und wir sehen zu, dass du was anderes zum Anziehen bekommst.«
Das ist das Ende der Unterhaltung mit dem süßen Typen.
Dean zieht mich mit. Ich habe keine Chance gegen ihn, denn auch wenn er angeblich nicht trainiert genug für das Spielfeld ist, hat er mehr Kraft im kleinen Finger, als ich im ganzen Arm. Außerdem ist er so groß, dass ich es nicht mal schaffe, dem Fremden einen beruhigenden oder entschuldigenden Blick über Deans Schulter zuzuwerfen. Dafür bekomme ich die verwirrten Gesichter von einigen genaustens mit und bemerke auch die drei Männer, die sich uns anschließen, als er mich in die Bar schiebt und er scheint dabei keine Sekunde daran zu denken, mich loszulassen.
Ob ich in den nächsten Monaten aus ihm schlau werde?
»Hey, Eve«, sagt Dean, als wir an einem kleinen Tisch ankommen an dem zwei Frauen sitzen. Die eine ist noch ziemlich jung und hat knallrote Haare, während die andere wunderschöne Locken hat, die ihr über die Schultern fallen. Wie viel würde ich dafür geben, die Haare von Evelyn Jones zu haben. »Hast du ein trockenes Shirt im Wagen? Oder weißt du, ob Scar eins im Büro hat?«
»Ich brauche kein Shirt«, versuche ich abzuwehren und etwas Abstand zwischen uns zu bringen, aber wieder wird mein Versuch von Dean unterbunden.
Erst spricht der Junge nicht mit mir und jetzt klammert er sich an mir fest. Wenn das so weitergeht, drehe ich durch. Ein Wunder, dass ich bei diesen Stimmungsschwankungen noch nicht gekotzt habe, die schlimmer sind als jede Schiffsfahrt bei Sturm.
»Du erkältest dich, wenn du weiterhin damit rumläufst.« Dean wirft mir einen verärgerten Blick zu, den ich wütend erwidere.
Wenn wir nicht mitten in einer Bar stünden, würde ich ihm den Hals umdrehen. Völlig egal, wie mies es ihm geht. Ich bin keine verdammte Puppe, die man nach belieben durch die Gegend schubsen kann. Auch wenn ich ihn das bisher hab durchgehen lassen.
»Wir haben Sommer«, sage ich trocken, blende die drei Jungs aus, die sich gelassen an den Tisch setzten.
»Man kann auch im Sommer krank werden«, hält er dagegen. »Sieh dir Cooper an. Der Junge kann sich kaum auf zwei Beinen halten.« Dean deutet auf den eingepackten Kerl mit den kurzgeschorenen Haaren, der sich gerade die knallrote Nase putzt und in dicken Klamotten steckt.
Ein schlagkräftiges Argument. Das muss ich ihm lassen.
Ich gebe ein verärgertes Schnauben von mir, schlucke die Wut herunter, die mal wieder aufsteigt und irgendwann durch die Decke gehen wird, wenn er so weiter macht.
»Ich kann laufen«, brummt der Quarterback und bekommt gleich darauf einen Hustenanfall.
»Dir ist klar, dass Zoe früher von ihrer Großmutter nach Hause gekommen und auf dem Weg zu dir ist? Ich denke, sie findet es seltsam, ein leeres Haus vorzufinden«, sagt Evelyn Jones und schenkt Cooper ein zuckersüßes Lächeln, was ihm jede Gelassenheit aus dem Gesicht wischt.
»Du verarscht mich«, kommt es fassungslos von dem Typen, der hektisch sein Handy hervorzieht. »Sie hat mir nichts geschrieben.«
»Es sollte auch eine Überraschung sein.«
»Oh, Shit!«, keucht der Kerl, dessen Gesicht beinah vom Schal verdeckt ist und der ganz blass ist. Er springt auf, taumelt leicht und wird von dem großen Kerl – ich meine er heißt Alex – festgehalten.
»So fährst du nicht«, brummt der Riese und nimmt dem Kranken mit einer schnellen Handbewegung die Schlüssel aus der Hand.
»Schon gut, so schlimm ist es nicht«, widerspricht Cooper und zieht die Jacke etwas enger um sich.
»Doch und ich habe dir eben schon gesagt, dass du ins Bett gehörst«, hält Alex dagegen.
»Am und ich bringen ihn nach Hause.«
»Was?«, platzt es aus mir heraus und ich drehe mich zu Dean, der lässig mit den Schultern zuckt.
»Zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen«, erklärt er. »Cooper landet wieder sicher im Bett und ich kriege Am nach Hause ohne, dass sie stundenlang durch die Kälte muss.«
»Es ist Sommer«, murmle ich so leise, dass nur er es hört, aber Dean ignoriert mich.
»Gut von mir aus«, stimmt Miles Cooper zu. »Wenn Zoe wirklich schon da ist, kannst du den Wagen behalten, weil ich dann tot bin.«
Ich bin am überlegen, ob ich protestiere, doch es gibt lediglich einen einzigen Grund, dessen Namen ich nicht mal wirklich kenne. Eigentlich bin ich hier, um auf Dean aufzupassen, wenn der also jetzt nach Hause fährt, muss ich mitkommen.
Außerdem mag ich solche Feiern und Abende nicht.
Es ist eigentlich von Vorteil, dass der Abend endet, noch ehe er angefangen hat.
»Na schön«, seufze ich. »Lass uns fahren.«
»Ich hab euch den Abend versaut. Tut mir leid«, schnieft Miles, als er sich abschnallt, während ich interessiert das Haus betrachte an dem wir gehalten haben.
»Alles halb so wild. Sieh lieber zu, dass deine Freundin dich nicht umbringt«, lacht Dean. »Immerhin brauchen wir dich nächste Woche.«
»Dasselbe gilt für dich. Sieh zu, dass du fit bleibst. Ich brauche dich auf deiner Position.«
Sie geben sich einen lockeren Handschlag zwischen den Sitzen hindurch und ich kriege ein höfliches Nicken.
»Wir sehen uns, Amber. Schönen Abend noch«, verabschiedet sich Miles und schlägt die Tür hinter sich zu, ehe er zur Haustür geht und dabei wirken seine Schritte unsicher. Einen Moment ist es still im Wagen und ich beobachte, wie Miles im Haus verschwindet. Dann nehme ich meinen Mut zusammen.
»Was sollte das eben?«, frage ich Dean in dem Moment in dem er: »Das geht so nicht«, sagt.
»Was? Wovon sprichst du?« Verwirrt drehe ich mich zu ihm, während er weiter auf die Straße schaut und losfährt.
»Davon, dass du nicht einfach so auf Partys oder in der Bar auftauchen kannst. Schon gar nicht in Shorts und wenn betrunkene Footballer da sind.«
»Willst du mir gerade Vorschriften machen?« Meine Augenbrauen ziehen sich nach oben und mein Mund bleibt ein Stück offen stehen.
Das kann er nicht ernst meinen.
»Ich will nur nicht, dass du als Betthäschen endest.«
»Und du entscheidest, ob ich das tue oder nicht oder wie muss ich das verstehen?«, zische ich, als Dean schnaubend an einer roten Ampel hält.
»Nein, ich weiß einfach, dass es nicht deine Art ist, mal eben mit einem ins Bett zu steigen.«
»Wer sagt das?« Meine Frage entlockt Dean ein höhnisches Lachen.
»Ich bitte dich, Am. Du warst noch nie der Typ für Abenteuer und ich glaube nicht, dass sich das geändert hat.« Seine Augen huschen für einen Wimpernschlag von der Straße zu mir und über meinen Körper. Demonstrativ verschränke ich die Arme vor der Brust und feuere böse Blicke auf ihn.
Zwei Möglichkeiten: Ich gebe ihm Recht oder ich streite alles ab und riskiere, dass er mich herausfordert das zu beweisen. Sind wir ehrlich. Ich bin nicht der Typ, der sich auf sowas einlässt und eigentlich gibt es auch keinen Grund ihm etwas anderes vorzumachen.
»Bitte«, kapituliere ich und werfe energisch die Hände durch die Luft, wobei Deans Mundwinkel zucken und ein zufriedener Ausdruck über sein Gesicht huscht. »Ja, ich bin vielleicht nicht der Typ für einen kurzen Spaß, aber das bedeutet nicht, dass ich nicht mit jemandem reden kann, den ich süß finde.«
»Brewster!?«, spuckt Dean aus und tritt fester als nötig auf die Bremse, um an einer Ampel zu halten. Ich rutsche leicht nach vorne und fange mich an der Armatur ab, während Dean sich zu mir dreht. »Du kannst doch nicht diesen Trottel gut finden!«
»Und warum nicht?«
»Er hat dir was übers Shirt geschüttet und mal abgesehen davon, spielt er auf meiner Position. Er ist der Feind!« Ungläubig schüttelt er den Kopf, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt.
»Was hat das damit zutun, dass ich nicht mit ihm reden oder mich mit ihm treffen kann? Außerdem hat er sich entschuldigt und es war genauso meine Schuld.«
»Oh Gott, Amber!«, faucht Dean und schlägt mit der flachen Hand auf das Lenkrad. »Cole Brewster nutzt es aus, dass er Footballer ist, und sucht sich jedes Wochenende eine andere. Denkst du, mit dir wäre das anders? Du wärst nur die Nächste auf einer langen Liste.«
»Kommt mir seltsam bekannt vor.« Ich drücke mich in den Sitz und hole tief Luft, um den Gedanken an Mord in Zaum zu halten.
»Na vielen Dank auch.«
»Ist doch wahr!«, fluche ich, was ihn die Lippen zusammen pressen lässt. »Denkst du, nur weil wir nicht geredet haben, kriege ich das nicht mit? Dein Ruf eilt dir voraus«, brumme ich und wende mich kopfschüttelnd ab. Am liebsten würde ich meinen Kopf gegen die Fensterscheibe schlagen, weil ich diese blöde Diskussion nicht verstehen kann.
Der Feind.
Wie lächerlich.
Als wären wir im Kindergarten.
Ein Schnauben entweicht mir, als wir an einer Kreuzung halten. Das rote Licht der Ampel scheint auf meine Beine und den Jungen, der mit gesenktem Kopf an der Ampel steht. Im ersten Moment denke ich, dass der Schatten auf seinem Gesicht von den Lichtern entsteht. Doch dann hebt er ein kleines Stück den Kopf.
Es ist ein Gesicht, das ich kenne.
Das letzte Mal hatte es nur keinen blauen Fleck auf der Wange.
»Dean? Ist das nicht Lucas?«, frage ich den Fahrer, der wahrscheinlich schon die ganze Zeit nach einer Erwiderung gesucht, aber nicht gefunden hat.
»Was?«, murrt Dean verwirrt und es klingt, als hätte ich ihn aus tiefen Gedanken gerissen.
»Der Junge an der Ampel da vorne.« Ich deute mit dem Finger auf die Gestalt, die die Hände in den Hosentaschen vergraben hat. Ich schaue fragend zu Dean, der einen Augenblick verwirrt blinzelt, dann energisch das Lenkrad herumreißt und den Wagen mit quietschenden Reifen am Straßenrand parkt. Bevor ich auch nur ein Wort sagen oder begreifen kann, was hier vor sich geht, hat Dean sich abgeschnallt und steigt aus dem Wagen.
»Jetzt warte doch!«, rufe ich noch, aber meine Worte verhallen im Wageninneren. Ich fluche leise, löse ebenfalls den Gurt und steige auch aus dem Wagen. Die warme Nachtluft, die eine Mischung aus dem Duft nach Asphalt und Meer ist, schlägt mir angenehm entgegen, als ich Dean folge, der bereits Lucas erreicht hat.
Und mit jedem Schritt, den ich näher komme, fällt mir mehr auf.
Nicht nur der blaue Fleck auf der Wange. Seine Hose hat einen Riss und ist dreckig. An seinem Knie ist eine Schürfwunde und ich bin mir sicher, dass seine Handflächen ähnlich aussehen. Die Cappy auf seinem Kopf sitzt schief und nichts an ihm wirkt mehr so selbstsicher wie bei unserer ersten Begegnung.
»Was machst du alleine um die Uhrzeit hier draußen?«, fragt Dean missgelaunt und mustert den Jungen, der nicht mal begrüßt worden ist.
Manchmal ist dieser Kerl sowas von unsensibel.
»Geht dich einen Scheißdreck an!«, knurrt Lucas, weicht dem Blick von Dean jedoch aus und ich meine zu sehen, wie seine Lippe zittert.
»Du bist ein Trottel, Dean«, brumme ich und schiebe ihn zur Seite. Ich spüre den verwunderten Blick im Nacken, als ich mich mit einem zarten Lächeln vor Lucas stelle. Dieser schnieft und fährt sich mit dem Ärmel über die Nase.
»Ich bin kein Trottel, das ist er. Er kann nicht alleine in der Gegend umherwandern. Das ist gefährlich.«
»Das kann man auch netter formulieren«, ermahne ich ihn, ohne hinzusehen. »Und man kann auch freundlich fragen, ob man ihn nach Hause oder…«
»Nicht nach Hause.«
Ich habe damit gerechnet, dass diese Antwort kommt. Nur nicht, dass sie sowohl von Dean, als auch Lucas kommen würde, die sich einen kurzen Blick zuwerfen, den ich nicht deuten kann. Vielleicht weil ich eine Frau bin.
»Du kommst mit zu uns«, sagt Dean.
»Nein, ich…«, will Lucas protestieren und dreht nervös sein Cappy umher.
»Entweder ich rufe Erin an, oder du kommst mit, kriegst was zum Kühlen und ein paar saubere Sachen.« Seine Stimme ist sanft geworden. Nichts daran ist mehr garstig und als ich mich zu ihm drehe, sehe ich ein schiefes Lächeln auf seinen Lippen. »Und vielleicht ist sogar eine heiße Dusche und ein Kakao drin. Aber den musst du mit Am verhandeln.«
Seine Augen huschen zu mir.
Vergessen ist der Streit im Wagen.
Denn da steht er.
Dean, der sich um Menschen sorgt und sie beschützt.
»Ja, über einen Kakao könnte man reden.«
»Ich bin kein Kleinkind«, kommt es verärgert von Lucas, doch es ist halbherzig.
»Du musst kein Kleinkind für Kakao sein. Manchmal hat man so beschissene Tage, dass man einfach eine ordentliche Portion Schokolade braucht und ich kenne niemanden, der das besser hinbekommt, als Am.«
Lucas ist wie in Trance und er sagt kein Wort, bis er ins Wohnzimmer geht und einschläft. Ich weiß nicht, ob er unter Schock steht, aber er bringt nicht einen blöden Spruch oder wirft einen dummen Blick zu uns. Dean und ich haben stumm beschlossen, dass es besser ist, wenn wir morgen mit ihm sprechen. Natürlich ist das kein Garant dafür, dass wir herausbekommen, was passiert ist, aber so hat er wenigstens Zeit es zu verarbeiten.
Trotzdem werde ich das Gefühl nicht los, dass es nicht das erste Mal ist, dass er alleine nachts durch die Gegend streift.
»Er sieht ziemlich beschissen aus. Ich hoffe, dass das morgen nicht noch schlimmer ist«, sagt Dean, während er das Kühlpad wieder ins Gefrierfach packt.
»Ich hoffe, dass er morgen wieder spricht und nicht über Nacht einfach verschwindet«, murmle ich mit einem Blick zu der offenen Küchentür.
»Ich lasse über Nacht meine Zimmertür offen. Dann kriege ich mit, ob er abhauen will.«
»Du schläfst doch wie ein Stein?« Verwundert sehe ich zu Dean, während ich mir den letzten Rest Kakao in die Tasse schütte.
»Nein, nicht mehr.« Ich sehe, wie er schwer schluckt und Verbitterung zieht wie ein Windstoß über sein Gesicht. Und so schnell wie es gekommen ist, ist es auch wieder verschwunden. »Meinst du, wir sollten mit Erin sprechen?«
Ein Themenwechsel. Dean möchte nicht darüber sprechen.
»Ich weiß nicht. Wahrscheinlich sollten wir warten, was morgen mit ihm ist.«
Dann wird es still. Ich räume die Spülmaschine ein, während Dean in dem Türrahmen lehnt und mich beobachtet. Um uns herum fliegen unausgesprochene Dinge, Fragen und Momente, als wären es Schmetterlinge. Zu zart, um sie zu fangen, und doch besteht die Möglichkeit, dass einer sich sanft auf unsere Finger setzt und dadurch einen Sturm auslöst. Einen, der die Schmetterlinge in tosende Böen und schmetternden Regen verwandelt.
»Brauchst du noch Hilfe?«
Ich halte mitten in der Bewegung an. Meine Mundwinkel verziehen sich zu einem Lächeln, wie es schon lange nicht mehr in Deans Gegenwart der Fall gewesen ist.
»Nein, das ist nicht viel. Geh du schlafen«, sage ich. Falten bilden sich dabei auf seiner Stirn und er nickt langsam.
»Dann gute Nacht«, murmelt er leise.
»Nacht«, erwidere ich und greife nach der nächsten Tasse. Dean dreht sich um, bleibt dann stehen. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie er mit sich selber ringt. Einen Disput führt, den ich nicht kenne, obwohl ich früher alles von ihm wusste.
»Am?«
Mein Spitzname. Nicht böse ausgesprochen, nicht genervt, sondern ganz sanft.
Das Herz in meiner Brust macht einen aufgeregten Hüpfer, als ich aufsehe.
»Ich hab das vorhin alles nicht so gemeint. Das war…«, er stockt, kaut auf der Lippe.
»Schon gut. Ich weiß, was du meinst.«
Schokoladenbraun trifft auf Perlgrau. Ein zartes Lächeln und vertraute Dankbarkeit hängt in der Luft. Ich weiß, dass es nur dieser Moment ist, aber es ist ein Moment mehr, in den ich den alten Dean sehe. Ein Moment, in dem wir die Alten sind.
Tut mir leid, sagt Dean mit einem gequälten Ausdruck. Ich weiß nicht, was er meint, denn bestimmt ist es viel mehr, als ich weiß, aber es ist egal.
Bist halt ein Trottel, erwidere ich mit einem leichten Lächeln, dass seine Mundwinkel zucken lässt. Dabei verschwindet das Muttermal für einen Wimpernschlag in seinen Grübchen und dann dreht er sich um und schließt die Küchentür hinter sich.
Ich bleibe alleine mit meinem Kakao zurück – und Deans Notizen und falsch gelösten Aufgaben aus der Vorlesung.
Vielleicht sollte ich schlafen gehen und ihn fragen, ob ich ihm helfen darf. Aber sein Stolz würde das momentan wohl eher nicht zulassen. Mal abgesehen davon, bin ich gar nicht in der Lage zu schlafen.
Denn ein seltsames Kribbeln hat meinen Körper erfasst, weil ich Dean getroffen habe.
Meinen alten Dean.
Seit langer Zeit.
Ich habe heute einen Gammeltag eingelegt und die Zeit beim Tee trinken mit meiner Mama vergessen. Sorry für die kleine Verspätung 😀 Ich wünsche euch noch einen schönen Abend und wir lesen uns am Donnerstag 🙂