2. Colin
»Könntest du endlich aufhören, dieses Foto anzustarren?«, schreit Juan vom Fahrersitz aus und ich zucke ertappt zusammen.
»Keine Ahnung, wovon du redest«, erwidere ich trotzig und klicke im gleichen Atemzug das Profil weg. Die Sonne spiegelt sich in den Gläsern des Fahrers wieder, der kopfschüttelnd auf die verlassene Straße vor uns schaut. Seine schokoladenbraunen, lockigen Haare tanzen im Wind und sehen im Gegensatz zu meiner Frisur nicht völlig wild aus.
»Davon, dass du endlich aufhören musst, sie zu stalken.«
»Ich stalke niemanden.«
»Doch, deine beschissene Exfreundin«, erinnert er mich und wenn er könnte, würde er mir einen Schlag auf den Hinterkopf verpassen. Glücklicherweise sitzen wir in diesem Cabrio und er muss fahren.
»Ich habe nur nach etwas gesucht.« Verärgert schalte ich das Display aus und wende den Blick stur nach vorne.
»Nach deiner Männlichkeit?«, schlägt mein Freund vor, wofür ich ihm gerne einen Hieb verpassen würde. Dann bestünde nur die Möglichkeit, dass wir einen Unfall bauen und das reizt mich nicht besonders. Zumal wir in dem alten Cabrio von Edwin sitzen, der es uns nur überlassen hat, damit wir es in seiner Fachwerkstatt in New York abliefern und später zurück fahren. Wenn diesem Wagen etwas passiert, bin ich tot.
»Mit meinen Eiern ist alles in bester Ordnung, vielen Dank.«
»Sicher? Ich hatte die letzten Wochen das Gefühl, dass sie eingelaufen sind«, provoziert Juan mich.
»Du solltest nicht immer von dir auf andere schließen«, gebe ich genervt zurück und lasse das Smartphone zurück in meine Ledertasche fallen, die zwischen meinen Beinen steht. Dem Fahrer entfährt ein schallendes Lachen, das in dem lauten Fahrtwind beinah untergeht.
»Hey, je weiter wir uns von dieser Ziege entfernen, desto lockerer wirst du.« Er schlägt erfreut mit der flachen Hand auf das Lenkrad und grinst mich an.
»Ich war die ganze Zeit über locker.«
Für die Aussage kassiere ich einen Blick, für den er extra die Sonnenbrille nach unten schiebt. Gleichgültig halte ich dem kurzen Vorwürfen stand, dann schaut er wieder auf die Straße.
»Ernsthaft, Colin«, seufzt Juan, während die Moderatoren sich darüber unterhalten, wie man der Hitzewelle am besten entfliehen kann. »Du musst endlich aufhören, Tessa wie ein Hündchen nachzulaufen. Sie hat sich die letzten Wochen durch New York gevögelt, während du artig in dem Apartment saßt und gelesen hast.«
»Ich hatte keine Lust zu feiern«, grummel ich.
»Du hast auf sie gewartet und für sie gekocht, du Hornochse!« Juan tippt sich mit den Fingern an die Stirn.
»Ich habe für euch alle gekocht«, korrigiere ich ihn.
»Anstatt Pasta zu zaubern, hättest du deiner Nudel freigang gewähren sollen. Das wäre wesentlich gesünder für dich gewesen.«
»Du weißt, dass ich nicht der Typ dafür bin.«
»Weil du viel zu sehr an deiner Exfreundin hängst!«
»Ich hänge nicht an ihr.«
»Darum hast du auch noch immer das Foto von euch in deinem Portemonnaie«, ertappt er mich ein weiteres Mal.
»Wir sind Freunde.«
»Wie willst du mit ihr befreundet sein, wenn du sofort mit ihr ins Bett gehst, sobald sie an deiner Tür klopft?!«
»Das ist nur einmal passiert«, protestiere ich.
Vielleicht auf zweimal.
Oder Viermal.
Nur sage ich ihm das nicht, weil ich sonst dran bin.
»Und es war einmal zu viel.« Wieder ein mahnender Blick von der Seite, dem ich ausweiche, indem ich das Ortsschild betrachte, das wir passieren. Wenn er das Tempo hält, dann bin ich in weniger als zehn Minuten Zuhause und muss mich nicht länger über meine ungesunde Beziehung zu meiner Exfreundin belehren lassen.
»Dieses Semester werde ich dein persönlicher Schutzengel und dafür sorgen, dass du Tessas Gift entkommst.«
»Nur, wenn du dich auch von toxischen Beziehungen löst.« Diesmal bin ich derjenige, der einen durchdringenden Blick aufsetzt. Juan gibt ein Schnauben von sich und fährt sich mit der Hand durch die Locken. Obwohl seine Haut die Farbe von Karamell hat, sehe ich wie seine Wangen sich rot färben.
»Ich bin in keiner Beziehung.« Seine Hände klammern sich etwas fester um das Lenkrad und ich betrachte die hohen Baumwipfel an denen wir vorbeisausen. Meine Augen fallen zu und ich atme tief ein. Der Geruch von Wald, Harz und Wasser steigt mir in die Nase.
So viel besser als New York.
Es war eine dumme Idee den Sommer dort zu verbingen, anstatt hierzubleiben. Ich hätte einen Tessa-Entzug machen können. Dann wäre ich vielleicht weiter, als jetzt und könnte nein sagen, wenn sie mich mit ihren hübschen Lippen anlächelt, die sich so…
»Ich will keine Beziehung.«
Meine Lider fliegen auf und die Bilder, die sich von vorletzter Nacht in meinem Kopf schieben, platzen wie Seifenblasen. Ich beiße mir auf die Innenseite der Wange und schüttle den Kopf, ehe ich mich zu dem Fahrer drehe.
»Versuchst du dir das selber einzureden?«, seufze ich und kann zwischem dem Dickicht das glitzernde Sonnenlicht auf der Seeoberfläche erkennen.
»Es ist die Wahrheit.« Seine Worte gehen fast in der Stimme der Sängerin unter, die von ihrer verlorenen Liebe singt.
Wie passend.
»Die Wahrheit ist, dass wir beide am Arsch sind«, korrigiere ich ihn.
»Wir sind nicht am Arsch«, widerspricht er verärgert.
Unsere Blicke kreuzen sich.
Er sieht wieder nach Vorne und presst die Lippen zusammen, während ich die Einfahrt zum Anwesen entdecke.
»Gut, schön!« Juan wirft einen Arm in der Luft, ehe er den Blinker setzt und auf die schmale Zufahrt biegt. »Du hast Recht. Wir sind Idioten und lassen uns beide viel zu leicht um den Finger wickeln.« Ein Schnauben entfährt ihm, während Schatten über sein Gesicht fliegen und sich das große Haupthaus zwischen den Bäumen offenbart. »Wir müssen wirklich was ändern.«
»Was hältst du davon, wenn wir einen Pakt schließen?«, frage ich, als Juan den Wagen langsam ausrollen lässt, ehe er zum Stehen kommt. »Ich passe auf, dass du keine Dummheiten begehst und du passt auf, dass ich keine mache.«
»Und wenn du doch eine machst?«
»Dann betrinken wir uns so lange, bis wir es vergessen?«, schlage ich mit einem schiefen Lächeln vor und steige aus dem Cabrio, während mein Freund einen Moment sitzen bleibt und sanft über das Leder streicht.
»Hat das jemals geholfen?«, will er gedankenverloren wissen.
»Nein, aber vielleicht ist der Kater so schrecklich, dass wir es nicht nochmal machen.« Ich nehme die schwarze Tasche vom Rücksitz und stelle sie neben mir ab, ehe ich nach dem Lederrucksack greife und ihn über die Schulter hänge.
»Wir wäre es mit einem Trinkspiel? Jedes Mal, wenn wir dumme Gedanken haben, trinken wir einen?«, schlägt Juan vor und wirft die Tür des silbernen Aston Martin zu. Seine Augen gleiten verträumt über die Konturen des Autos und mit der Hand streichelt er über den glänzenden Lack.
»Codewort Lakritz?«
Schlagartig verziehen seine Gesichtsmuskeln sich und er nickt zustimmend.
»Allein bei dem Gedanken an das Zeug möchte ich meine Gehirnzellen mit Alkohol betäuben«, ekelt er sich und ein Schütteln überfällt seinen Körper.
»Dann sind wir uns einig.«
»Definitiv.« Sein Blick huscht zu dem Oldtimer und ihm entweicht ein schwerer Seufzer. »Sag Edwin, dass ich mich jederzeit bereiterkläre seinen Wagen in die Werkstatt zu fahren. Sogar mitten in der Nacht oder ganz früh morgens.«
»Ich werde es dem alten Griesgram ausrichten«, lache ich und fange die Schlüssel, die Juan mir zuwirft. Seine breiten Lippen sind zu einem Grinsen verzogen, als er seine Tasche schultert und zu seinem Motorrad läuft, das er hier abgestellt hat.
»Sehen wir uns diese Woche noch?« Juan nimmt den schwarzen Motorradhelm vom Lenker, wobei er einen weiteren sehnsüchtigen Blick auf den Wagen wirft.
Ja, der Junge hat eine riesige schwäche für Oldtimer und so mancher nutzt das aus.
»Wenn ich nicht versklavt werde, sobald ich dieses Haus betrete, bestimmt«, antworte ich amüsiert, obwohl sich mein Magen bei dem Gedanken zusammenzieht. Plötzlich fühlt es sich unheimlich schwer, die Mundwinkel oben zu lassen und die ersten meiner Gesichtsmuskeln verkrampfen.
Juan bemerkt es.
Natürlich.
Mitgefühl flackert über seine Miene, doch es dauert nur einen Wimpernschlag, dann ist sie verschwunden. Ohne ein weiteres Wort schnallt er sein Gepäck fest und setzt sich auf die Maschine. Ich beobachte, wie er den Helm aufsetzt und zu mir rollt.
»Pass auf, dass du nicht gegen einen Baum fährst«, scherze ich wie immer, obwohl mir nicht danach zumute ist.
Meine Kehle wird trocken und meine Finger werden taub.
»Du packst das«, murmelt mein bester Freund und versetzt mir einen freundschaftlichen Schlag gegen den Oberarm. Juan ist wesentlich schwächer als ich, doch jetzt könnte mich sein Schlag aus den Schuhen hauen.
»Klar, schließlich hab’s ichs die letzten einundzwanzig Jahre auch geschafft«, presse ich hervor, doch diesmal bin ich nicht in der Lage meine Maske zu behalten.
Liegt vielleicht an den siebenunddreißig unbeantworteten Anrufen auf meinem Handy.
»Du hast meine Nummer«, ist das letzte, das mein bester Freund mir sagt, ehe der Motor aufheult. Ich bringe ein Nicken und weniger überzeugendes Lächeln zustande, dann jagt seine schwarze Maschine unsere Einfahrt empor.
Zurück bleibe ich und eine Stille, die mir noch nie zuvor so bedrohlich erschienen ist.
Eigentlich liebe ich diese Ruhe, das leise plätschern des Wassers und das Rascheln der Bäume. Nur scheint es mir heute so, als würde eine Horde Wölfe auf mich lauern – bereit jederzeit zuzuschlagen.
Wie gut, dass nur einer von ihnen Zuhause ist. Zwar der Schlimmste, aber dennoch leichter zu bezwingen, als die gesamte Gruppe.
Mir entweicht ein letzter schwerer Atemzug, dann drehe ich mich um und nehme Kurs auf die Veranda, die mit großen, prächtigen Blumentöpfen geschmückt ist. Hitze hat sich unter der Überdachung gesammelt und ohne den Fahrtwind, sammeln sich die ersten Schweißtropfen in meinem Nacken. Schlüssel schlagen aneinander, als ich die Tür aufschließe und ein Windzug durch das Haus fegt.
Obwohl ich nur gut einen Monat weg war, ist der Blick atemberaubend. Die große Glasfront gibt den Blick auf den See und den umliegenden Wald frei. Die Sonne steht stolz am Himmel und das Hohe groß weht zu einer seichten Melodie, die niemand hört.
Jeder Dichter würde für diesen Anblick sterben.
Es ist ein schöner letzter Anblick. Wer braucht schon einen nackten Frauenkörper, wenn er das haben kann.
Absolute Idylle, die für innere Zufriedenheit sorgt.
Schätze, dass ist es auch, was mich dazu verleitet die Tasche abzustellen und den vertrauten Weg zu dem Büro meines Vaters einzuschlagen. Zwar dreht sich mein Magen erneut um, aber Juans aufmunternde Worte und der See, den ich durch die Fenster beobachte an denen ich vorbeilaufe, beruhigen mich.
Scheiße.
Ich werde gleich mit Klamotten in das Wasser springen und erst wieder herauskommen, wenn die Sonne untergeht.
Während ich die sanften Wellen betrachte, klopfe ich gedankenverloren an die Tür. Befürchtungen haben keine Zeit sich in meinem Kopf festzusetzten, als eine gedämpfte Stimem ertönt. Bevor ich über Konsequenzen nachdenken kann, trete ich in das kleine Büro.
Es dauert keine Sekunde, da weiß ich, dass ich besser in den Bungalow gegangen wäre.
Der Mann hinter dem Schreibtisch schaut von dem Laptop auf und bei meinem Anblick zeichnen sich tiefe Furchen auf dem kantigen Gesicht ab. Die eckige Brille von meinem Dad verrutscht ein wenig auf seiner markanten Nase und die Luft steht schlagartig unter Spannung.
Meine Züge werden hart und ich schiebe die Hände in die Hosentasche, wobei ich mich an den Türrahmen lehne und ihn ruhig ansehe.
»Du hast angerufen«, bringe ich gleichgültig hervor, obwohl es in meinen Adern schon zu Brodeln beginnt.
»Schön, dass es dir aufgefallen ist«, presst Dad hervor und Ärger flutet sein Gesicht.
»Was wolltest du?« Ich übergehe seine Anspielung und denke an das kühle Nass, das mich immer alles vergessen lässt.
Nur noch dieses blöde Gespräch überstehen. Dann habe ich meine Ruhe.
»Wissen, wann du gedenkst mit deiner Arbeit anzufangen. Falls du dich erinnerst, hatten wir das abgesprochen.«
»Du hast das festgelegt. Das ist nicht die Definition von Absprechen, die ich habe«, gebe ich scharf zurück.
»Eigentlich solltest du schon letzten Montag anfangen«, wird meine Aussage ignoriert. »Außerdem wollten wir besprechen welche Kurse du dieses Semester wählst.«
Ein belustigtes Schnauben entweicht mir.
Ich weiß, dass es ihn zum Kochen bringt.
»Ich werde meine Kurse selber wählen, aber vielen Dank für dein Hilfsangebot.«
»Das war kein Hilfsangebot«, faucht mein Vater und der Kugelschreiber in seiner Hand droht zu zerbrechen.
»Stimmt, es war ein Vorschlag, den ich ablehne.«
»Es genügt, Colin!«, zischt er und erhebt sich mit einer schnellen Bewegung. Der Stuhl rollt über den Boden und knallt gegen das Sideboard hinter ihm.
»Ganz deiner Meinung. Wir sehen uns beim Essen«, ziehe ich mich aus dem Gespräch und mache auf dem Absatz kehrt. Wut kocht in meinen Adern, mischt sich mit Enttäuschung und sogar Angst flackert wie ein Teelicht neben zwei gigantischen Lagerfeuern auf. Doch sie ist da, wie immer, wenn ich mich wehre.
»Das Gespräch ist noch nicht beendet!«, höre ich ihn rufen, als ich mit schnellen Schritten den Flur entlanglaufe und meine Taschen ansteuere. »Du wirst morgen Früh in meinem Büro sitzen und anfangen!«
»Vergiss es«, antworte ich lauter, als geplant. »Ich hab keinen Bock auf beschissene Gesetzte und hochnäsige Klienten, die was zu vertuschen haben!«
»Du wirst lernen müssen dich damit anzufreunden, dass man nicht immer nur das tun kann, was man will!«, schreit er zurück.
»Und du solltest dich endlich damit abfinden, dass ich nicht nach deiner Pfeife tanze!« Wir stehen uns Gegenüber. Beide schwer atmend und mein Dad holt gerade Luft, als ein lauter Knall ertönt und unseren Streit unterbricht.
Mein Kopf wirbelt herum, sucht nach der Lärmquelle und findet eine viel zu vertraute Silhouette, die sich die Stirn reibt und eilig nach dem Buch bückt, das ihr aus der Hand gerutscht ist. Dabei rutscht das sonnengelbe Kleid über ihre Oberschenkel und als sie sich aufrichtet sind die Wangen gerötet. Die aschblonden Haare stecken in einem Pferdeschwanz, der ihr über die Schulter fällt und sie senkt schüchtern den Blick.
»Entschuldigung«, murmelt die junge Frau und presst die Lippen zusammen. Sie wartet keine Reaktion ab, eilt zu der offenen Terrassentür und flieht in die Freiheit.
Mein Herz, das ausgesetzt hat, beginnt in einem ungleichen Rhytmus zu schlagen. Der Streit mit meinem Dad verschwindet schlagartig aus meinem Kopf, während ich beobachte, wie Riley Wilder über den Kies davonstürmt.
»Was zum Teufel macht sie hier?!«, will ich wissen, und meine Augen folgen ihr, bis sie aus meinem Sichtfeld verschwindet. Dann schießt mein Kopf zu meinem Dad und Panik rankt meinen Hals empor.
»Sie ist vor zwei Wochen in das Gästehaus gezogen. Das hätte ich dir mitteilen können, wenn du mich zurückgerufen hättest«, erwidert Dad zornig, ehe er mit seinem Vortrag fortfährt, von dem ich nahezu nichts mitbekomme.
Denn gerade ist der Wolf eine zweitrangige Bedrohung geworden. Ein Grizzly ist aus dem Winterschlaf erwacht und hat sich ohne Vorwarnung auf mich gestürzt.
Sein Name ist Riley Wilder.
Ahhh,ich liebs und ihr hoffentlich auch. Es wird noch sooo cool und ich hoffe, dass ich die kommenden Tage noch viel, viel mehr schreiben kann und noch mehr in die Geschichte komme. Immerhin habe ich mir fest vorgenommen demnächst eine Lesenacht zu starten! 🙂