7. Riley
Es hat geleuchtet.
Ganz sicher.
Da war ein Hinweis, dass ich eine Nachricht bekommen habe.
Blinzelnd starre ich das Display an, das mittlerweile wieder schwarz ist und kralle mich an dem Buch fest, das nicht länger meine Aufmerksamkeit hat. Die Sonne taucht immer tiefer, hinterlässt einen purpurnen Schimmer am Himmel.
Habe ich mir das nur eingebildet oder hat mir wirklich jemand geschrieben?
Das Schlucken fällt mir schwer, als ich das Buch zuschlage und auf das abgenutzte Holz lege, ohne dabei den Blick von dem Smartphone zu nehmen.
Keine Hoffnungen machen, Wilder.
Kann sein, dass du dich irrst und es eine einfache Nachricht von deiner Mom ist.
Ich zwinge meinen Körper zu einem tiefen Atemzug, ehe ich nach dem Handy greife und es entsperre. Einen Wimpernschlag später, entdecke ich die kleine Eins an dem Instagram Icon.
Nein, das wird nicht von Mom sein.
Mein Magen dreht sich auf links und gleichzeitig tauchen tausend Möglichkeiten auf, wer mich weswegen kontaktiert hat. Nervös lecke ich mir über die Lippe und drücke auf den Icon, woraufhin sich der Feed öffnet. Ich verdränge bösartige Gedanken und klicke umgehend auf den Papierflieger in der Ecke.
the_page_turner
Ich betrachte das unscharfe Bild, das eine Person zeigt, die mit dem Rücken zur Kamera steht. Es ist dunkel und dennoch erkennt man das Regal aus einer Bibliothek. Der Silhouette nach zu urteilen, könnte es sich um einen Mann handeln.
Hoffentlich ist das keine blöde Anmache.
Mit zusammengepressten Lippen öffne ich seine Nachricht und stutze.
the_page_turner: Huckleberry Fynn.
Ein gutes Buch, aber was soll ich damit anstellen? Möchte er meine Meinung zu dem Werk hören oder ist es wirklich nur ein verzweifelter Flirtversuch. Stirnrunzelnd klicke ich sein Profil an und stelle fest, dass er keine Follower hat und nur wenigen anderen folgt.
Ich würde es für seltsam befinden, wenn mein Profil nicht auch diesen einsamen Eindruck machen würde. Daher entscheide ich mich für eine einfache und sehr kurze Antwort.
just.a.girl: ?
the_page_turner: Ich warte.
just.a.girl: Worauf?
the_page_turner: Auf deine fachliche Einschätzung.
Wovon redet der?
just.a.girl: Ich bin verwirrt?
the_page_turner: Pierre de la Gorce?
Mit der flachen Hand schlage ich mir gegen die Stirn.
Natürlich. Das Zitat in der Beschreibung.
Sag mir, was du liest und ich sage dir, wer du bist.
the_page_turner: Du hast deine eigene Beschreibung vergessen, oder? 😀
just.a.girl: Eventuell? 😀
the_page_turner: Als ich gesehen habe, dass du Der große Gatsby liest, hätte ich wissen müssen, dass du ein hoffnungsloser Fall bist.
Was. Für. Ein. Banause.
just.a.girl: Der große Gatsby ist ein Kunstwerk.
the_page_turner: Du bezeichnest ein Buch, in dem ein Kerl sein absolut fantastisches Leben für eine Frau opfert, als Kunstwerk? Das ist einfach nur kitschig.
just.a.girl: Ich würde es als romantisch bezeichnen.
the_page_turner: Dann bist auch bestimmt auch in die Bücher von Shakespeare vernarrt.
just.a.girl: Es sind wundervolle Geschichten, ja.
the_page_turner: Da muss ich widersprechen. Dracula oder Krieg der Welten sind vernünftige Klassiker.
Der hat eine Vollmeise.
just.a.girl: Das sind Geschichten über Monster.
the_page_turner: Und damit sind sie unheimlich nah an der Realität, findest du nicht?
Ich kann mir ein Schmunzeln nicht verkneifen, obwohl es mir gegen den Strich geht, dass er damit nicht ganz falsch liegt. So leicht lasse ich mich von einem fremden Kerl auf Instagram nicht unterbuttern.
Schon gar nicht von einem mit schlechtem Geschmack.
just.a.girl: Findest du nicht, dass der gute Huckleberry, da etwas aus dem Schema fällt?
the_page_turner: Tut er das?
just.a.girl: Zwei Jungs, die zusammen einen Fluss herunterfahren, sind nicht besonders angsteinflößend.
the_page_turner: Aber das, was sie sehen und erleben, ist es durchaus.
just.a.girl: Dann ist wohl eindeutig, wer du bist.
the_page_turner: Jetzt bin ich gespannt.
just.a.girl: Ein hoffnungsloser Romantiker, der sich hinter gruseligen Büchern versteckt, um möglichst hart zu wirken.
Zufrieden starre ich auf das Display und beobachte die aufblinkenden Punkte, die immer wieder verschwinden. Entweder habe ich ins Schwarze getroffen, oder er versucht, seinen Ärger nett in den Zeilen zu verpacken, die wirklich angenehm zu lesen sind. Der Typ achtet auf Rechtschreibung. Selten anzutreffen in einer Zeit der Hektik.
the_page_turner: Du verwechselst mich mit dem Prinzen aus die Schöne und das Biest. Auch wenn ich mich sehr geschmeichelt fühle, dass du mich für die Lösung all deiner Probleme hältst.
Lügner. So weit daneben kann ich doch nicht gelegen haben.
Leicht verärgert und etwas ungeübt huschen meine Finger über das Display.
just.a.girl: Du hast ziemlich veraltete Ansichten.
the_page_turner: Vielleicht bin ich ein 50 Jahre alter Kerl, der versucht gebildete, junge Frauen zu verführen?
just.a.girl: Vielleicht bin ich eine 80jährige Oma, die auf der Suche nach einem Callboy ist, der es ihr besorgt?
Blinzelnd starre ich meine Nachricht an.
Hab ich das wirklich gerade geschrieben?
Himmel, Anonymität lässt einen wirklich die Klappe aufreißen.
the_page_turner: Die Runde geht eindeutig an dich 😀
Meine Mundwinkel zucken und ich ziehe die Beine an, während die kühle Abendluft über meine nackte Haut streicht. Mein Blick bleibt dabei fest auf den Chatverlauf gerichtet, der mir ziemlich gut gefällt. Auch, wenn dieser Unbekannte eindeutig keinen Geschmack hat.
the_page_turner: Weil ich ein ausgesprochen fairer Gegenspieler bin, werde ich dir als fachlich kompetente Psychologin noch eine Chance geben. Such dir in den nächsten Tagen drei Bücher aus, von denen ich dir begründen muss, welches mir am besten gefällt. Deal?
Drei Bücher?
Ich kaue auf meiner Unterlippe, renne gedanklich mein Bücherregal ab, obwohl mein Kopf mir rät vorsichtig zu sein. Im Internet rennen seltsame Gestalten rum und selten sind es nette Kerle, die mit einem über Bücher sprechen möchten.
Trotzdem kann ich nicht widerstehen.
Vielleicht ist es das Risiko, oder die Tatsache, dass ich endlich mit jemandem rede, den ich nicht kenne. Jemandem, der keine Vorurteile hat.
just.a.girl: Deal.
the_page_turner: Enttäusch mich nicht ein zweites Mal, Ms. Fairytale.
Mein Schnauben mischt sich mit einem Geräusch, das fast wie ein kleines Lachen klingt. Wie gut, dass er das nicht hören kann. Bestimmt würde er arrogant Grinsen und das als Sieg verbuchen. So leicht, werde ich den Großkotz nicht davonkommen lassen.
»Riley?«
Vor Schreck rutscht mir fast das Handy ins Wasser und ich schnappe erschrocken nach Luft. Gleichzeitig sausen meine Augen zu meinem Dad, der aus dem Nichts aufgetaucht ist.
»Hab ich dich erschreckt?«, will er wissen und ein schmunzeln umspielt seine Lippen, während er die Schuhe abstreift und sie zur Seite schiebt.
»Nein, nur so wie ein Axtmörder, der mich durch den Wald jagen will«, murmle ich mit klopfendem Herzen und hoffe, dass das Adrenalin schnellstmöglich aus meinem Blutkreislauf verschwindet. Dadurch werde ich immer viel zu mutig und sage Dinge, über die ich nicht lang genug nachdenke.
»Wie gut, dass ich keiner bin«, erwidert Dad, dessen Ärmel hochgekrempelt sind. Mit einem langen Seufzen setzt er sich neben mich und taucht die Füße in das Wasser. Mit seinen langen Beinen ist das durchaus möglich. Da ich jedoch die Größe meiner Mutter vererbt bekommen habe, berühre ich die Wasseroberfläche nicht einmal mit den Zehnspitzen, wenn ich sie strecke.
»Wie war dein Tag?«, will er wissen und lehnt sich ein Stück nach vorne um mich betrachten zu können. Normalerweise weiche ich ihm dann aus, doch als ich die dunklen Ringe unter seinen Augen sehe, kann ich das nicht.
Wahrscheinlich hat er bis gerade gearbeitet, und sich jetzt noch die Mühe gemacht, zu mir zu kommen und nach mir zu schauen.
In meiner Brust wirbelt ein altes, vertrautes Gefühl auf, dass ich schnell mit einem Netz einfange und zurück in eine Kiste sperre.
»Nicht so anstrengend wie deiner, wie es scheint.« Nachdenklich beobachte ich, wie er ein Gähnen unterdrückt, das in ein sanftes Lächeln übergeht.
»Wieviele Bücher hast du heute gelesen?«, will er wissen und zeigt auf das Buch, das neben mir liegt.
Stimmt. Bevor die Nachricht eingetrudelt ist, war ich damit beschäftigt.
»Nur knapp anderthalb«, beantworte ich achselzukend seine Frage, was er mit einem Kopfschütteln hinnimmt, das kein bisschen böse wirkt. Dabei fahre ich behutsam mit der Hand über den Einband.
»Ist es sehr spannend?«
»Eher kompliziert«, erwidere ich mit einem lächeln.
»Dann könnte ich dich dazu überreden morgen mit Colin und seinen Freunden Frühstücken zu gehen?«
Mein Kopf schießt so schnell hoch, das ein Schmerz durch meinen Nacken zieht.
»Was?«, entfährt es mir, als hätte ich mich verhört.
Dabei habe ich jedes Wort verstanden.
»Ronald und ich fahren morgen Früh zu einem Termin und setzten Colin auf dem Weg ab. Ich könnte ihn fragen, ob es in Ordnung ist, wenn du mitkommst.« Dad strahlt mich an, als hätte er mir eine selbstgebackene Torte überreicht.
Im Gegensatz zu ihm, bin ich mir jedoch sicher, dass in dieser eine Rakete versteckt ist, die hochgeht, sobald ich sie anschneide.
»Ich weiß nicht«, murmle ich verunsichert und kralle mich an dem Handy fest.
»Du würdest ein wenig rauskommen, Leute kennenlernen und gutes Essen gäbe es auch noch«, ermutigt er mich.
Am liebsten würde ich einfach ablehnen, aber Moms Worte klingeln in meinen Ohren. Ich ringe mir ein Lächeln ab, das aussieht wie eine schmerzvolle Grimasse und nicke langsam.
»Ok, aber nur, wenn er einverstanden ist.«
Mal wieder zu spät (SOOOOORRY!), aber Morgen ist mein erster Arbeitstag und ich musst noch ganz viel erledigen. Ich hoffe, dass sich das jetzt alles langsam wieder einpendelt und die Kapitel wieder pünktlicher kommen. Mich nervt das nämlich genauso sehr wie euch 😀