Prolog - Riley
»Können Sie mir ihren vollen Namen sagen?«
Der Mann mit dem weißen Kittel und der schwarzen Hornbrille, die auf seiner dicken Nase sitzt, lächelt mich aufmunternd an. Eine Krankenschwester zieht die ausgeblichenen Gardinen zu, die früher gelb gewesen sein müssen. Jetzt erinnert es an Erbrochenes, das im Hochsommer auf einer Gehwegplatte getrocknet ist.
Hätte ich meine Brille auf, dann wären manche Dinge in diesem Raum nicht so unscharf wie die Uhr, die über der weißen Tür hängt.
Ich lausche dem Rascheln des Stoffes, beobachte die Frau und fasse mir an die Schläfe.
Mein ganzer Kopf brummt.
»Riley Wilder«, krächze ich und schaue wieder zu dem Mann, der zufrieden nickt. Als hätte ich soeben bei Wer wird Millionär eine Frage richtig beantwortet und wäre der finalen Frage näher gekommen.
»Wann haben Sie Geburtstag, Ms. Wilder?«, fährt er fort, ohne mich aus den Augen zu lassen.
Kann mir niemand eine Tablette gegen diese Kopfschmerzen geben?
»Am vierzehnten Januar.«
Ein seltsames Piepen lässt mich die Augen zusammenkneifen. Der Mann – ein Arzt, wie ich sehr stark vermute – zieht ein kleines Gerät hervor und drückt darauf herum. Dann widmet er sich wieder mir und schenkt mir ein noch breiteres Grinsen.
Habe ich etwa schon die fünfhunderttausend Dollar Frage geknackt?
»Wissen Sie, wo sie sich befinden?« Nun wird seine Miene etwas ernster.
Warum? Was habe ich verpasst?
Ich runzle die Stirn und beginne in meinem Gedächtnis nach der Ursache zu forschen. Wenn er fragt, wo ich bin, dann …
»Oh mein Gott!«, stoße ich hervor und setzte mich schlagartig auf. »Hatten wir etwa einen Autounfall? Geht es Mom gut?!«, schießt es aus mir heraus und ich ignoriere das Stechen, das bei der ruckartigen Bewegung durch meinen Schädel saust.
»Beruhigen Sie sich, Ms. Wilder«, werde ich rasch von ihm besänftigt und er hebt die Hände. »Ihrer Mutter geht es gut. Sie und ihr Vater sind auf dem Weg hierher.«
Mein Vater?
Sanft werde ich von der Krankenschwester zurück auf das Bett gedrückt. Es ist eine ältere Frau. Vielleicht Ende fünfzig mit feinem grauen Haar, von dem sich wenige Strähnen aus ihrem Zopf gelöst haben. Das Lächeln, das von vielen tiefen Falten begleitet wird, beruhigt mich und ich lasse mich zurücksinken.
»Warum glauben Sie, dass Sie einen Autounfall hatten, Ms. Wilder?« Der Arzt tritt näher an das Bett heran und mustert mich nachdenklich.
In meinem Kopf blitzt das Bild von dem beladenen Wagen auf, das Lachen von meiner Mutter schallt durch meine Ohren, als wir losfahren. Ich erinnere mich an den Burger, den wir gegessen haben, kurz bevor wir angekommen sind…
»Ich war mit Mom auf dem Weg zum Ithaca College«, sage ich und sehe das langsame Nicken des Mannes. Seine letzte Frage kommt mir wieder in den Sinn. »Ich bin in einem Krankenhaus in Ithaca.«
»Das ist korrekt. Sie sind im Cayuga Medical Center.«
Diesmal wirkt die frohe Miene aufgesetzt. Irgendetwas an meiner Antwort hat ihm nicht gefallen. Das macht mich nervös.
»Welche Jahreszeit haben wir?«
»Sommer. Mitte August um genau zu sein. Meine Kurse starten bald«, gebe ich zurück und denke an die kurze Shorts, mit denen ich auf den Ledersitz gerutscht bin und mir fast die Haut verbrannt habe.
»Können Sie mir das Jahr sagen?«
Warum will er das Jahr wissen?
»Zweitausendneunzehn.«
Die Maske des Mannes verrutscht für eine Sekunde und in meinem Magen flackert Skepsis auf. Das sieht nicht aus, als wäre meine Antwort zufriedenstellend.
»Ms. Wilder«, beginnt er behutsam und die Art wie er an mein Bett herantritt, verunsichert mich. »Wir haben Sommer, allerdings sind wir nicht im richtigen Jahr.«
Nicht im richtigen Jahr?!
Ich blinzle und mein Kopf beginnt zu rattern.
»Machen Sie sich keine Sorgen. Ihr Unfall ist Achtundvierzig Stunden her und wir beobachten das weiter. Es kann gut sein, dass das wiederkommt.«
Ich ignoriere seine Worte, spüre einen Druck, der sich auf meinen Brustkorb legt.
»Welches Datum haben wir heute?«, übergehe ich ihn und kralle mich an meiner Bettdecke fest, während ich ihn fest im Auge behalte.
»Wir haben den siebten Juli Zweitausendzwanzig, aber wie bereits gesagt: Machen Sie sich keine Sorgen. Was ist denn das letzte an das Sie sich erinnern können?«
Siebter Juli.
Ich erinnere mich an den zweiten September.
Das ist zehn Monate her.
Zehn. Monate.
Ich strenge mich an, versuche, etwas zu finden, doch mein Kopf bleibt leer. Nur das Bild meiner Mom und wie ich zu ihr ins Auto steige, nachdem wir Burger gegessen haben, ist zu finden.
Von den Monaten danach fehlt jede Spur.