1. Riley
Kalter Schweiß steht mir auf der Stirn, als ich aus dem Schlaf gerissen werde. Mit einem Ruck setzte ich mich auf und starre keuchend geradeaus. Die Umgebung ist noch verschwommen, mein Kopf hängt zwischen dem Alptraum und der Realität fest. Ich kralle mich an der Bettdecke fest und blinzle, um mich zurückzubefördern.
»Nur ein Traum«, erinnere ich mich mit krächzender Stimme selber und fahre mir mit der Hand an den pochenden Kopf. Meine Fingerspitzen gleiten zu der Stelle, von der der Schmerz ausgeht und berühren die kurzen Haarstoppeln.
Nein, es war nicht alles ein Traum.
Den Sturz gab es wirklich.
Meine Lider fliegen zu und ich konzentriere mich aufs Atmen.
Bilder blitzen auf, doch sie verblassen mit jedem Pochen, das durch meine Schädeldecke jagt.
Ich brauche Schmerztabletten.
Blinzelnd öffne ich die Augen, nur um die Realität entgegengeschleudert zu bekommen. Ein wenig so, als würde man mir eine Wasserbombe ins Gesicht werfen, die mit Eiswürfeln gefüllt ist.
Meine Finger lassen von dem Presslufthammer ab und gleiten hinab, als ich meine Umgebung betrachte. Zuerst den schwarzen Kleiderschrank, der mir fremd erscheint. Meine Augen folgen den Holzstützen auf denen dunkle, dicke Balken aufliegen, bis ich an die helle Zimmerdecke starre.
Keine gelb verblassten Sterne, die Mom an die Decke gemalt hat, damit sie meine Alpträume verjagen.
Natürlich bin ich nicht Zuhause. Dennoch bohrt sich ein rostiger Nagel in meine Brust und lässt mich einen Wimpernschlag den Atem anhalten. Sehnsucht will sich breitmachen, doch das energische Pochen in meinem Schädel verhindert es. Ich kneife die Augen zusammen und hoffe, dass es den Schmerz lindert, doch mein Versuch bleibt erfolglos. Ein Stöhnen gleitet über meine spröden Lippen, als ich mich aus dem Bett rolle und meine steifen Muskeln sich melden.
Hätte ich die Tabletten gestern Abend besser genommen. Dann würde mein Kopf nicht dröhnen und die Alpträume wären wohl auch fortgeblieben.
Ein kühler Luftzug umspielt meine Waden, als ich barfuß die Treppe hinuntersteige. Jedes Knarzen wirkt sich auf meinen Kopf aus, doch ich versuche mich auf das Holz unter meinen Füßen zu konzentrieren.
Frisch geschliffen und poliert.
Noch immer hängt der feine Duft von Orange in der Luft und begleitet mich auf dem Weg zu der kleinen Küchenzeile. Mittlerweile habe ich den Weg so verinnerlicht, dass ich ihn in tiefschwarzer Nacht finde. Doch es ist nicht mehr dunkel draußen. Sonnenstrahlen schieben sich an den schweren Vorhängen vorbei, lassen lange Schatten der Möbel auf dem Boden entstehen.
Es wäre ein schöner Anblick, wenn mein Kopf nicht implodieren würde.
Ich schnappe mir ein Glas, das noch von gestern Abend neben der Spüle steht und fülle es mit Wasser. Dann ziehe ich die Pillendose heran und lasse zwei kleine ovale Pastillen in meine Handflächen fallen, die ich ohne nachzudenken einwerfe und herunterspüle. Dann verharre ich regungslos an der Arbeitsplatte und schließe die Augen.
Meine Hände zittern noch leicht und meine Knie sind weich.
Ich fühle mich ausgelaugt.
Dabei habe ich mindestens zehn Stunden geschlafen.
Blödes Schädelhirntrauma und beschissene Amnesie.
Mit einem Schnauben, das einen weiteren Schmerzimpuls durch meinen Kopf sendet, reiße ich eine Schranktür auf und ziehe eine Packung Froot Loops hervor, die sich verdächtig leicht anfühlt.
Diesmal lässt mich eine böse Vorahnung das Gesicht verziehen, die sich bestätigt, als ich die leere Packung hervorziehe, in der sich nur noch bunter Zuckerstaub befindet.
Als wäre der Alptraum und mein Kopf nicht genug für heute Morgen. Nein, jetzt muss ich mich anziehen und kann mich dann in das Haupthaus schlagen, wo ich mit großer Wahrscheinlichkeit auf meinen Vater und Großvater treffe.
Nichts, worauf ich in meiner jetzigen Gemütslage großen wert lege.
»Mist«, fluche ich leise, obwohl ich das Wort gerne herausgeschrien hätte. Nun muss ich mich wirklich anziehen, um meine Zuckerdosis zu bekommen.
Drauf verzichten ist nach dieser Nacht keine Option.
In Gedanken lasse ich eine Reihe von Flüchen los, über die sogar meine Mutter empört wäre und trotte in das Badezimmer, wo ich sogar das Licht anschalte. Immerhin ist es draußen auch hell. Das bedeutet, dass die Leute mich sehen können. Und das, was sie dann erblicken, ist alles andere, als schön. Das erkenne ich obwohl, ich meine Brille noch nicht trage.
Mein Spiegelbild verzieht das Gesicht, während es sich mit winzigen Augen anstarrt und genervt den Kissenabdruck folgt, der sich vom Hals bis zur Wange ausgebreitet hat. Meine viel zu feinen, straßenköterblonden Haare kleben platt an meinem Kopf, doch die Spitzen sehen aus, als hätte ich in eine Steckdose gefasst. Und dann ist da noch die eine Stelle am Hinterkopf, von der ich ein Stück sehe, als ich den Kopf drehe. Die stoppeligen Haare, die anfangen die Narbe zu verdecken.
So kann ich auf keinem Fall meinem Vater oder Großvater gegenübertreten. Also kapituliere ich ein weiteres Mal an diesem Morgen und spritze mir kaltes Wasser ins Gesicht, ehe ich mir die Haare kämme. Jegliche Form von Schminken lasse ich weg, dafür verzichte ich auf eine Jogginghose und greife zu dem gelben, knielangen Sommerkleid mit Spaghettiträgern. Das hängt noch vom letzten Abendessen, vor dem ich mich nicht drücken konnte, an dem Kleiderhaken im Badezimmer. Ich binde meine Haare zu einem Pferdeschwanz und ziehe die Haare so, dass die Stelle mit den kurzen Stoppeln verdeckt wird.
Sonst starren die Leute dahin und dann schauen mich immer mitleidig an.
Das ertrage ich nicht.
Es ist so schon schwer genug.
Ich streiche die letzten Falten aus dem Saum des Kleides, setzte die runde Brille mit den dünnen Rändern auf und betrachte mich keine Sekunde länger im Spiegel. An manchen Tagen – so wie heute – erkenne ich mich kaum wieder und das macht mir Angst.
Darum verlasse ich das Badezimmer und trete wieder in die verdunkelte Wohnlandschaft. Ich nehme den Hausschlüssel von der Kommode und schließe die Tür auf. Dann trete ich in das Freie und die Helligkeit lässt mich blinzeln.
Ein strahlend blauer Himmel hat sich über Ithaca breitgemacht und die Sonne entfaltet ihre volle Kraft. Die Bäume und Sträucher leuchten im satten Grün, während der Rasen langsam unter der sommerlichen Hitze leidet und braun wird. Dafür glitzern die sanften Wellen des Sees provokant und konkurrieren mit den Sonnenstrahlen, die durch die Baumwipfel fahren.
Ich ziehe die Tür hinter mir zu und atme die frische und Luft ein, ehe ich dem Kiespfad folge, der sich über die Wiese bis zum Haupthaus schlängelt. Schon fast wie eine Burg, sitzt es selbstbewusst zwischen den gigantischen Bäumen. Der Sockel aus massivem Bruchstein wirkt unerschütterlich und trägt die Holzbalken, die in den Himmel ragen. Das Licht spiegelt sich in den unzähligen Fenstern, die zum See ausgerichtet sind.
Ein zarte Windhauch lässt mich frösteln und ich schlinge die Arme um den Oberkörper, als ich die große Terrasse betrete. Die Türen stehen offen und warme Luft strömt mir entgegen, als ich in den großen Saal trete. Ich werde langsamer und meine Augen suchen an dem Esstisch aus Eiche und der Sitzlandschaft rechts von mir nach einem Menschen. Kurz halte ich den Atem an und lausche, doch das Klacken eines Gehstocks, der auf die Holzdielen schlägt, bleibt aus.
Erleichtert stoße ich Luft aus und biege eilig in den schmalen Gang, der sich links von mir befindet. Mit schnellen Schritten laufe ich auf die Treppe zu, wobei ich darauf achte möglichst leise zu sein, ehe ich die Tür rechts von mir aufstoße und in dem Raum verschwinde. Auch hier lasse ich die Tür nicht zufallen, sondern schließe sie möglichst leise – auch um dem nachlassenden Pochen in meinem Kopf nicht neuen Zündstoff zu liefern.
Naja.
Und weil ich keine Lust habe, auf jemanden zu treffen.
Als ich mich umdrehe und ich die gigantische Küche betrachten kann, sinkt meine Zuversicht unentdeckt zu bleiben. Überall liegt geschnittenes Obst und Gemüse herum und auf dem Herd kocht etwas. Messer liegen auf der Marmorarbeitsplatte, als hätte sie jemand gerade erst zurückgelassen.
Ms. Porter ist schon auf und bereitet das Frühstück vor.
Ich muss mich beeilen.
Mit schnellen Schritten steuere ich den raumhohen Eichenschrank an, dessen Tür ich hastig aufreiße, ehe ich die Packung mit der Zuckersünde schnappen und verschwinden will. Nur fasse ich ins Leere.
Ich blinzle verdutzt.
Das kann nicht sein.
Außer mir isst die keiner.
»Riley, wie schön, dass du schon wach bist!« Die Singstimme von Ms. Porter lässt mich ertappt zusammenzucken und reißt mich aus meinem Schock. Der Saum des Kleides weht gegen meine Oberschenkel, als die ältere Dame mit einem strahlenden Lächeln und einem Tablett mit zwei leeren Kaffeetassen das Zimmer betritt. Das Geschirr klirrt aneinander, als sie es auf der Kücheninsel abstellt und zu der Kaffeemaschine huscht.
»Wo sind die Froot Loops?«, übergehe ich ihre Begrüßung und merke die Anspannung, die meinen Körper langsam überfällt. Die Dame mit den grauen, kurzen Haaren und der schwarzen Stoffhose, stellt frische Tassen unter die Maschine.
»Ich habe sie auf den Frühstückstisch gestellt.«
Nein.
Schlagartig nimmt das Pochen in meinem Kopf zu.
Ms. Porter drückt seelenruhig auf ein paar Knöpfe, ehe sie sich mir zuwendet.
»Möchtest du einen Kakao?«, will sie freundlich wissen und nimmt die benutzten Tassen vom Tablett.
Zwei Stück.
Dad ist nicht alleine.
»Ich möchte meine Froot Loops«, murmle ich kleinlaut und reibe mir die Oberarme, während ich beobachte, wie sie die Spülmaschine belädt.
»Dann wirst du wohl nach oben gehen und sie dir holen müssen«, erwidert sie ruhig, während mein Herz zu pumpen beginnt, als müsste ich gleich ohne Sicherung eine Klippe hinunterspringen.
»Könntest du sie nicht holen?«, flehe ich. »Ich habe schlecht geträumt und mein Kopf bringt mich um. Das ertrage ich heute wirklich nicht.« Ms. Porter folgt dem Piepton der Kaffeemaschine und nimmt beide Tassen, die sie behutsam auf das Tablett packt. Dann hebt sie den Kopf und schaut mich mit einem liebevollen Lächeln an, dass mich an das meiner Großmutter erinnert, die vor drei Jahren verstorben ist.
Nein.
Mittlerweile sind es fast vier. Dank des Unfalls.
»Sie würden sich sehr über deine Gesellschaft freuen«, sagt sie und greift nach den Henkeln. Ich probiere es mit einem letzten kläglichen Blick, der an der alten Frau abschmettert. Genauso gut hätte ich versuchen können mit Weichspüler eine Betonwand flauschig zu machen.
Verflucht.
»Sie sitzen auf dem Balkon. Eine wunderschöne Aussicht auf den See«, fügt sie hinzu, als sie die Tür mit dem Ellenbogen aufstößt und mich auffordernd ansieht.
Ich könnte wegrennen oder verhungern. Das erscheint mir beides angenehmer, bis ich die Warnung in den Augen der Frau aufblitzen sehe. Mit aller Kraft unterdrücke ich ein Seufzen, dann folge ich ihr schweigend.
Unsere Schritte schallen durch die leeren Gänge, als wir die Stufen emporsteigen und eine weitere Tür geöffnet wird. Ein Windzug empfängt uns, als wir in das Wohnzimmer meines Vaters treten und ich höre zwei Stimmen, die ich in den letzten Tagen möglichst gemieden habe.
»… sollten überlegen, ob wir Hill den Fall entziehen und an Reed übergeben«, höre ich Dad erzählen, der sich gerade mit der Gabel eine knallrote Erdbeere in den Mund schiebt.
»Reed hat soviel Ahnung von Familienrecht, wie von seiner Ehe«, knurrt der alte Mann, der mit dem Rücken in meine Richtung sitzt. Eine Schirmmütze verdeckt die grauen Haare, die in dem hellen Sonnenlicht fast weiß sind.
»Dad«, mahnt mein Vater meinen Großvater, der nur ein Schnauben von sich gibt. Doch bevor eine Diskussion beginnen kann, bemerkt er Ms. Porter und mich.
»Riley«, stößt mein Vater erfreut aus, während ich mich zu einem Lächeln zwinge und den Tisch nach meiner geheimen Medizin absuche. Der alte Mann am Tischende linst mit grimmiger Miene über seine Schulter und versucht gar nicht erst seinen Unmut über meine Gegenwart zu verbergen.
Hatte sie nicht eben noch gesagt, dass sie sich über meine Gesellschaft freuen würden?
»Guten Morgen«, bringe ich hervor, als Ms. Porter den Männern den Kaffee serviert.
»Setz dich doch«, fordert Dad mich auf und deutet auf einen freien Platz, der sogar gedeckt ist.
Es war also kein Zufall, dass meine Froot Loops verschwunden sind.
Ich schlucke den bitteren Geschmack auf meiner Zunge herunter und trete auf den Balkon. Dabei spüre ich den musternden Blick meines Großvaters, der bisher immer etwas an meinen Klamotten auszusetzen hatte
»Orangensaft?«, flötet Ms. Porter und hält eine Glaskaraffe hoch in der eine leuchtende Flüssigkeit umherschwappt.
»Ja, gerne«, sage ich leise, als ich mich setze. Dabei verknote ich die Finger im Schoß und senke den Blick auf das teure Geschirr und das viele Besteck, das so ordentlich angerichtet wurde. Hilflosigkeit mit einem Funken von Panik überfällt mich. Zwar habe ich langsam begriffen, wie das mit dem Besteck funktioniert und doch, bemerke ich die abschätzigen Blicke von der Seite, die mich immer verunsichern.
»Hast du gut geschlafen?«, erkundigt Dad sich und ich zwinge mich den Kopf zu heben und dem alten Griesgram neben mir keine Aufmerksamkeit zu schenken.
Dads dunkle, kurze Haare liegen ordentlich an seinem Kopf und er hat das charmante Lächeln aufgesetzt, mit dem er sonst auch Klienten für die Kanzlei erwirbt. Ein gepflegter Bart erstreckt sich über das markante Gesicht, während er mich mit seinen blauen Augen betrachtet. Das einzige äußerliche Merkmal, das mich mit dem großen, muskulösen Mann verbindet, der jeden Morgen um den See joggen geht.
Ms. Porter stellt mir ein volles Glas hin und schenkt mir ein aufmunterndes Lächeln. Ich hatte sie immer für eine Verbündetet gehalten, aber heute ist sie mir in den Rücken gefallen. Und anstatt sich Zeit zu lassen, damit ich nicht alleine bin, verlässt sie nun den Balkon.
»Nicht besonders«, gestehe ich kleinlaut und schnappe mir die Packung, die man direkt neben meinen Sitzplatz gestellt hat.
»Nicht verwunderlich, wenn man nur so ein ungesundes Zeug in sich hineinstopft«, brummt mein Großvater neben mir und ich zucke zusammen, als hätte er mir einen Hieb in den Magen verpasst. Dabei sind das nur die Schmerztabletten, die mein Bauch nicht besonders gerne hat.
»Ich denke, es liegt eher an ihrem Traumata«, erwidert Dad und ich erkenne, dass er dem Griesgram einen verärgerten Blick zuwirft. Die bunten Zuckerringe fallen in die Schüssel, und ich schnappe mir hastig die Milch.
Je schneller ich esse, desto schneller kann ich wieder verschwinden.
»Helfen dir die Tabletten nicht? Dann müssen wir nochmal zum Arzt, damit du andere bekommst.«
»Nein, die helfen eigentlich«, sage ich eilig, als ich die Milch wegstelle, wobei ich darauf bedacht bin seinen Blick zu meiden. »Vielleicht bin ich zu spät ins Bett gegangen.«
Es ist besser, wenn ich für mich behalte, dass ich versucht habe, auf die Schmerzmittel zu verzichten. Sonst macht er sich nur wieder Sorgen, ruft Mom an und die beiden streiten sich, ob ich auf den Arzt hören soll oder nicht.
»Dann achte drauf, dass du genug schläfst. Auch, wenn das Buch spannend ist«, lächelt er und ich schaffe es das Brummen von der Seite zu ignorieren. Wenigstens ist es diesmal kein Spruch über die jugendliche Schandlektüre, die meine Gehirnzellen verrotten lassen.
»Mhm«, stimme ich leise zu und schiebe mir den ersten Löffel meiner Zuckerdosis in den Mund.
»Die Walkers kommen morgen Abend aus dem Urlaub wieder. Wir wollten grillen, damit du sie alle kennenlernen kannst.«
»Nochmal«, wirft mein Großvater verärgert von der Seite ein, doch meinem Dad gelingt es ausgesprochen gut, diese Aussage zu ignorieren. Bis auf ein angespanntes Zucken seines Mundwinkels bleibt er ruhig.
»Das klingt nett.« Ich rühre die bunten Kringel in der Schüssel umher, weil mir schlagartig schlecht wird. Noch mehr Menschen, die mich kennen, ich aber nicht sie. Vielleicht hätte ich doch im Wohnheim bleiben sollen, wobei dort noch mehr herumlaufen, die mich erkennen könnten.
»Hast du irgendwelche Wünsche?«
»Eine neue Packung Froot Loops«, kommt es mir unüberlegt über die Lippen und lässt meinen Vater auflachen. Meine Wangen hingegen werden heiß und ich sacke ein bisschen mehr in mich zusammen.
»Kein Problem, die bekommst du«, lächelt er und nimmt sich einen Pancake, den er mit einer ordentlichen Portion Sirup übergießt.
Meine Zuckersucht ist genetisch bedingt – von zwei Seiten.
»Hast du schon überlegt, welche Kurse du dieses Semester nehmen willst?«, will Dad wissen, als das Telefon neben seinem Teller klingelt. Er wirft einen Blick auf den Anrufer, dann runzelt er verärgert die Stirn. »Da muss ich drangehen.« Mit einer schnellen Bewegung nimmt er das Gespräch an und drückt das Smartphone an sein Ohr.
Das nenne ich Rettung in letzter Sekunde.
»Bruce Barton«, sagt er mit tiefer und selbstsicherer Stimme, die mich einschüchtert. »Mr. Ortiz, freut mich, dass ich so schnell von Ihnen höre.« Er schiebt den Stuhl zurück und steckt die Hand in die Hosentasche, als er innehält und seine Augen zu mir fliegen. Kurz bekomme ich Angst, doch dann zieht er ein Smartphone aus seiner Hosentasche und legt es mir hin, während ich mir Froot Loops in den Mund schiebe. »Das hast du gestern hier liegen lassen«, sagt er, wobei er seine Hand vor das Mikro hält und mich anlächelt. Dann gibt er ein herzhaftes Lachen von sich und verschwindet.
Ich bleibe mit dem grimmigen Großvater und meinem Smartphone zurück.
Keine Ahnung, was mir mehr Magenschmerzen bereitet.
Kurz linse ich zu dem alten Mann, der demonstrativ nach der Zeitung greift und sie geräuschvoll aufschlägt. Ich ernte einen letzten verächtlichen Blick, dann verschwindet er hinter dem raschelnden Papier.
Während ich kaue, linse ich zu dem Smartphone, das neben meinem Arm liegt.
Es ist wie jeden Tag seit fast zwei Monaten.
Hoffnung flackert in meiner Brust auf, wird von der Enttäuschung zu einem Tanz aufgefordert. Die beiden fegen über das Parkett, während ich nach dem Smartphone greife und es mit angehaltenem Atem anschalte.
Die Zeit steht still.
Dann legt die Hoffnung sich auf die Fresse und die Enttäuschung vollführt ein Solo.
Keine Nachrichten.
Nirgendwo.
Ich halte die Tränen im Zaum, die sich meine Kehle emporschieben und starre auf die Milch, die von den Froot Loops aufgesogen wird. Neben mir raschelt Zeitung, doch das leise Geräusch wird zu einem Hämmern in meinem Kopf.
Zu Anfang hatte ich noch gedacht, dass meine Freunde im Urlaub sind und nichts von dem Unfall mitbekommen haben. Dass sie ahnungslos und völlig aufgelöst erscheinen und mir um den Hals fallen. Sie mir erzählen, was wir die letzten Monate, an die ich mich nicht erinnere, erlebt haben und ich mich lachend erinnere.
Diesen Gedanken hatte ich vor zwei Monaten.
Mittlerweile glaube ich, dass ich nie Freunde hatte.
Oder sie so sauer auf mich sind, dass sie nicht mit mir sprechen.
Und ich weiß nicht, was schlimmer wäre.